Die Pipeline, eine Kinderhorde und erbärmliche Zeltstädte

Auf der 6. Etappe (am 6. Mai, vom Rallyepark Sancaktepe nach Haymana) sahen wir sie zum ersten Mal:

DIE PIPELINE!

Wir wussten damals noch nicht, dass uns die Baustelle dieser Pipeline in den nächsten zwei Wochen immer wieder begegnen würde. Später war sie ein vertrauter Anblick in der weiten Landschaft der Türkei.

Wie sich herausstellte, handelt es sich um die neue Transanatolische Pipeline, die ab 2018 Erdgas von Aserbaidschan nach Griechenland transportieren soll. Zwei Jahre später wird sie durch die Trans-Adria-Pipeline bis nach Italien verlängert. Der Bau wurde als Reaktion auf den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine beschlossen. Europa will sich damit also unabhängiger von russischem Gas machen.

Wir nutzten die Gelegenheit, um einer Aufgabe aus dem Roadbook nachzukommen: einen (leider eher langweiligen) Werbeaufkleber prominent zu platzieren und ein Beweisfoto zu schießen. Die Ingenieure vor Ort waren sehr hilfsbereit 🙂
Wer ab 2018 den Gashahn aufdreht, bekommt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Gas, das an einem Käsalm-Aufkleber verbeigeströmt ist…

Zeltstädte entlang der Pipeline

Wir fuhren noch eine lange Strecke immer wieder an der Baustelle entlang. Plötzlich bot sich uns ein erbärmlicher Anblick – der sich an diesem Tag noch mehrfach wiederholte: Ein riesiges Zeltdorf mit aus Planen improvisierten Zelten. Inmitten der sonst menschenleeren Weite, auf einem matschigen Acker. Ein Schild ließ den Schluss zu, dass es sich hier um Wohnunterkünfte für die Arbeiter der Pipeline handelte. Scheinbar wohnen diese dort inklusive ihrer Familien. Genau wissen wir es allerdings nicht.
Im Nachhinein erscheint es möglich, dass es sich bei den Bewohnern um syrische Flüchtlinge handelt. So war es zumindest später, bei einem vergleichbaren Lager zwischen Şereflikoçhisar und Tuz Gölü (dem Salzsee), wo Flüchtlinge als Tagelöhner auf den Feldern arbeiten und ein vergleichbares Zeltdorf bewohnen.

Kinderhorde lässt sich nicht bändigen

Beim ersten Zeltlager an der Pipelinebaustelle, hielten wir aufgrund einer unklaren Weggabelung an. Da unweit von uns, Kinder auf dem Acker spielten, entschlossen Thomas und ich spontan, ein paar Kuscheltiere zu verteilen. In Windeseile waren die Kinder bei uns am Auto und drängten sich um das Heck des BMW. Die Kinderschar wurde rasch größer und von einer Schar eher zu einer Horde. Zum Glück lassen sich an den BMWs die Heckscheiben einzeln öffnen, für manche Kinder ist der Kofferraum somit noch unerreichbar hoch. Andere streckten allerdings gierig ihre Hände in den Kofferraum und wir hatten Mühe, sie davon abzuhalten, alles mögliche aus dem Auto zu zerren.

Wir verteilten die ersten Kuscheltiere und die Kinder waren einfach nicht mehr zu halten. Diese Situation traf uns völlig unvorbereitet. Mit Gier in den Augen versuchten die Kinder, alles an sich zu reißen, was sie fassen konnten. Gute Worte halfen hier nichts mehr, aber selbst anschreien und energische Gesten machten überhaupt keinen Unterschied. Manche Kinder hatten schon drei oder vier Kuscheltiere gemopst und wollten nicht zulassen, dass andere auch etwas bekommen. Es waren vermutlich solche Situationen, vor denen uns die Mädels von Waal goes Orient gewarnt haben.

In dieser Situation war uns überhaupt nicht mehr wohl. Auch weil es scheinbar immer mehr Kinder wurden und einige zwischenzeitlich auch die beiden 20m entfernt geparkten Autos belagerten, und dort einen noch verschlossenen Sack mit Spielsachen ergatterten. Hilfe war von den Teamkollegen also nicht zu erwarten, wir wollten uns deshalb nur noch aus dem Staub machen. Schade eigentlich, denn wir hätten hier viel mehr und viel gerechter verteilen können. Vielleicht sorgten die Eltern der Kinder für etwas Ausgleich.

Autos, Toiletten und Ratlosigkeit

Wie auch immer, wer dort wohnt, dem kann es nach unseren Maßstäben nicht besonders gut gehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass verschiedene Zelte offenbar nicht zum Wohnen, sondern als Garage für Autos dienen. Vom 3er BWM über Nissan Qashqai, alte Autos und Motorräder sahen wir einige Fahrzeug bei den Zelten stehen, aber es waren eher Ausnahmen.

Eine Toilette: Ein Holzgestell, an drei Seiten hängen Decken oder Tücher bis Boden herab. Ein Sitz in der Mitte, eine Seite zur Straße hin offen. Ein Junge, wohl gerade mit seinem Geschäft fertig. Die Toilette Stand auf halbem Weg zwischen Straße und Zeltdorf, das etwa 100 m abseits der Straße lag.

Mich persönlich ließen diese Zeltstädte ziemlich ratlos zurück. Der Anblick dieser Lager und der Kinder geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Diese Blicke und alte, kaputte Kleider… wie man es oft sagt: „wie aus dem Fernsehen“. Doch waren wir in der Türkei, keine 100 km südwestlich von Ankara.

Auch jetzt weiß ich noch nicht genau, was es wirklich damit auf sich hatte. Über Google konnte ich bisher nichts herausfinden. An östlicheren Pipelineabschnitten hatten wir diese Zeltdörfer nicht mehr gesehen.

Bilder haben wir von diesen Zeltdörfern nicht gemacht. Wir waren in diesen Momenten wohl zu sehr mit überlegen beschäftigt. Auch in anderen Momenten des Verschenkens war es so. Oft war das eine Sache von Sekunden: „Da ist ein Kind!“ – Fenster auf, Auto stoppt – Kuscheltier raus – weiter gehts. Sollten doch noch entsprechende Bilder von einer unserer vielen Kameras oder auf einem Handy auftauchen, werde ich sie nachreichen.

Hier gibts ein offizielles Werbevideo zur TANAP-Pipeline bei Youtube:

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